IN SITU - Approximatives zur Werkinstallation „Bildträger“ von Martin Gredler
Carl Aigner
„ … die Kunst ist die große Ermöglicherin des Lebens, … der große Stimulans des Lebens.“
Friedrich Nietzsche
Eine fast menschengroße, blau gemalte (Yve Klein-Zitat?) Karyatide, der ein langer und breiter Metallpackpapierstreifen zu entgleiten droht, schwebt von der Wand herab über den ehemaligen großen Industrieraum der Galerie des „Österreichischen Papiermacher-museums Laakirchen – Steyrermühl“ in der „Galerie Papierwelten“. Dieser rund sechzig Meter lange Papierstreifen – ein Material, das Martin Gredler normalerweise in seinem Atelier als Unterlage, Schutz oder Notizblock verwendet – entpuppt sich im Laufe des Aus-stellungsrundganges als konzeptueller Ariadnefaden, als Leitrollbild für eine faszinierende, höchst komplexe und assoziative gewobene Ausstellungsinstallation, als deren Repetito-rium unablässig der Genius loci der Papierwelten fungiert.
„Bildträger“ betitelt der Künstler scheinbar lapidar, aber präzise und „Selbstredend“ – so die Bezeichnung eines konkreten, speziell für die Ausstellung geschaffenen Papierobjektes – sein Raumwerk. Immer wieder das Material Papier sowie verschiedenste bildnerische Techniken und Farben selbst in ihrer Vielfalt und ästhetischen Verbrämung (Büttenpapier“) thematisierend, entfaltet sich ein bildnerischer Kosmos, der in erstaunlicher Weise von der künstlerischen Selbstreflexion bis hin zu anthropologischen Themen reicht, wie der Zyklus „Die Vergrämung der Kormorane“ oder die Auseinandersetzung mit Tierischem – so in der Serie „Auf ein Neues“ – zeigen. In Form eines Leporellos, also eines Buchobjekts etwa, reflektiert die Arbeit „Alien“ das Zusammenleben von Mensch und Natur in deren existen-ziellen Bezügen und Befindlichkeiten. Aber auch der Homo politicus hat seine immerwäh-rende thematische Wiederkehr, so in der Serie „Bajo la prensa“, mit kubanischen Künstlern erarbeitet, und übersetzt „unter Druck“ bedeutet, was sowohl Druckwerk als auch politisch unter Druck sein meint.
Barocke Fülle und minutiöse Präzision, real-konkrete Gegebenheiten des Autobiographischen einerseits, Visionäres, Fiktionales, Phantasmagorisches andererseits bilden eine narrative Gesamtstruktur, die auch auf eine synaptische Logik nicht vergisst. Martin Gredler ist dabei ein höchst amüsanter Erzähler, ein Fabulierer voll (Selbst-)Ironie, Witz, Klugheit und Schalkhaftigkeit, der gekonnt mit den bildnerischen Mitteln spielt, diese auch selbstbezüglich zitiert und in Ausstellungsobjekte verwandelt (die große Pinselplastik aus Papiermache!). Verrätselung und Buchstäblichkeit (siehe den Ausstellungs- sowie die Werktitel) bilden dabei eine Basisstrategie des Bildnerischen und Thematischen. Der Künstler ist ein Fabulierer der condition humaine schlechthin: ein mythologischer Verweiser, dem das Unbewusste ebenso Herausforderung ist wie das scheinbar vordergründig Rationale.*
„Polypticha“ lautet der Titel eines 36 Einzelwerke umfassenden Bildtableau’s, welches auf dem Prinzip einer permanenten Substitution basiert und 2005 begonnen wurde. In seiner Verfahrensweise versinnbildlicht es nicht nur die Unabgeschlossenheit und damit die Offen-heit (Umberto Eco) eines Kunstwerkes (die Blätter können einzeln erworben werden und werden anschließend durch ein neu gemaltes Blatt ersetzt), sondern auch ein Moment der Transformation und Mutation: das Patchwork als universelles Weltbild, als postmoderne Elegie schlechthin.
So komprimiert sich die in situ-Installation „Bildträger“ nicht nur als persönlicher Kosmos des Künstlers, sondern als erstaunliche (weil äußerst wissende) Weltmaschine. Sie ist Weltbild und Weltinterpretation zugleich, Wahrnehmungsweise und künstlerisches Statement in einem. Die blaue Karyatide ist nicht nur ein griechisches Architekturzitat, eine Bauträgerin anstelle von Säulen, sondern symbolisiert als Anfang und Ende des Ausstellungswerkes (alle einzelnen Werke sind subtil und konsequent aufeinander bezogen und bilden letztendlich EIN Gesamtwerk!) ein Grundmotiv und Sinnbild unserer Lebenswirklichkeit des 21. Jahrhunderts: das ständige Entgleiten des Da-Seins, die trotz allem Wissen und Reflektierens Unerklärbarkeit der Welt, die nur kraft der Kunst für geglückte Moment zu sich zu kommen vermag – was Martin Gredler mit seiner gelungenen, weil nicht wiederholbaren Rauminstallation geglückt ist.
*Siehe dazu auch Carl Aigner: Vom Flug der Bilder. Oder: Die Vergrämung der Kormorande, in: Martin Gredler: Die Vergrämung der Kormorane, Edition Antagon # 3, Artbook, Salzburg 2009